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Digitale Integration

Stand und Perspektiven der digitalen Integration von CarSharing und ÖPNV

Digitale Integration

Für die CarSharing-Branche gehören digitale Buchungsportale und Smartphone-Apps schon lange zum Alltag. Der öffentliche Nahverkehr hingegen bricht erst seit kurzem in diese neue, digitale Welt auf. Ansätze unter dem Schlagwort „Mobility as a Service“ streben eine nahtlose digitale Integration von ÖPNV, CarSharing und weiteren Mobilitätsdienstleistungen an. Dadurch entstehen neue Vermarktungs-Chancen, aber auch neue Diskussionen über den Grad der Integration und die Frage, welcher Partner wo die Führung übernehmen sollte.

Eine digitale Integration ist im gemeinsamen Interesse der Partner des Umweltverbundes

Studien zeigen, dass CarSharing einen multimodalen Lebensstil und die verstärkte Nutzung der anderen Verkehrsträger des Umweltverbunds fördert.[1] Haushalte, die zuvor einen eigenen Pkw besaßen, schaffen mit dem Wechsel zum CarSharing häufig ihr eigenes Fahrzeug ab und verlagern ihre Mobilität zu einem noch größeren Teil auf ÖPNV und Fahrrad. Das lässt sich vor allem für stationsbasierte CarSharing-Systeme belegen. CarSharing-Anbieter können somit einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung des Umweltverbunds leisten. Insbesondere bei der direkten Konkurrenz mit dem privaten Autobesitz spielt das CarSharing eine Schlüsselrolle als „Auto-Baustein“ des Umweltverbunds.

CarSharing ist jedoch selten eine stand-alone Lösung. Die Branche versteht sich von jeher als Partner des ÖPNV und als „vierte Säule“ im Umweltverbund neben ÖPNV, Fahrrad und Fußverkehr. Zahlreiche langjährige Kooperationen von CarSharing-Anbietern mit ÖPNV-Unternehmen belegen diese Partnerschaft praktisch. Eine Integration beider Angebote auf einer digitalen Plattform ist angesichts wechselseitiger Dependenzen und Unterstützungsverhältnisse der Verkehrsträger im Interesse aller Partner.

Hinzu kommt, dass der Marktanteil des CarSharing in Deutschland immer noch gering ist. Je nachdem, wie man den relevanten Gesamtmarkt definiert, liegt er bei 1 bis 3 Prozent.[2] Die CarSharing-Branche hat also Grund, sich nach neuen Vertriebsmöglichkeiten für ihre Dienstleistung umzusehen. Eine solche neue Möglichkeit stellen digitale Mobilitätsplattformen dar.

Mobility as a Service als Alternative zum privaten Autobesitz

Einschließlich der zu Fuß zurückgelegten Wege beträgt der Anteil der Verkehrsträger des Umweltverbundes an allen Wegen im Bundesdurchschnitt 42 Prozent - CarSharing nicht mitgerechnet. Der Anteil des MIV liegt bei 58 Prozent.[3] Bezogen auf die zurückgelegten Kilometer beträgt der Anteil des MIV jedoch 79 Prozent. Die Anbieter von Verkehrsdienstleistungen des Umweltverbundes und die durch den MIV belasteten Kommunen haben ein gleichgerichtetes Interesse, den Anteil des Umweltverbunds zu steigern. Digitale Mobilitätsplattformen können ein Weg sein, die Attraktivität des gesamten Umweltverbundes und die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem privaten Autobesitz zu erhöhen.

Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass in Smartphone-Apps digital aufbereitete Services die sogenannte „wahrgenommene Kontrolle“ des Nutzers über das Produkt erhöhen.[4] Unter wahrgenommener Kontrolle verstehen die Wissenschaftler das Vertrauen der Nutzer in die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit eines Produkts oder Services. In der Theorie gehen einige Wissenschaftler davon aus, dass die Begeisterung vieler Haushalte für den privaten Autobesitz mit der hohen wahrgenommenen Kontrolle über das Produkt zusammenhängt: Das Auto steht nur dem Nutzer zur Verfügung, es wartet auf ihn in seiner Nähe, er kann jederzeit selbst bestimmen, wann er losfahren möchte. Demgegenüber stellen sich die verschiedenen Verkehrsträger des Umweltverbundes dem Nutzer als ein Konglomerat von Verkehrsoptionen dar, das von Fahrplänen und Buchungsoptionen strukturiert wird und dessen Verfügbarkeiten von den Anbietern (fremd-)bestimmt ist. Die Hoffnung ist, dass eine integrierte digitale Aufbereitung von multimodalen Angeboten, Fahrplänen, Echtzeit-Auskunft sowie Buchungs- und Bezahlvorgängen hier eine Verbesserung bringt.

Diese Überlegung hat zur Entwicklung eines Konzepts geführt, dass „Mobility as a Service“ - kurz MaaS - genannt wird:

Praktische Beispiele solcher MaaS-Services wurden erstmals 2013 in Göteborg (UbiGo) und in Helsinki (Whim) getestet. In beiden Fällen handelte es sich um Testläufe mit einem begrenzten Nutzerkreis. Beide Versuche haben ergeben, dass die involvierten Haushalte ihre Mobilität ähnlich vom privaten Pkw weg verlagern, wie das aus den oben erwähnten CarSharing-Studien bereits bekannt ist. Zugleich steigerte sich die Zufriedenheit der Nutzer mit ihrer Mobilität deutlich und ging wieder zurück, nachdem der Testlauf beendet worden war. Die Europäische Kommission wird ab 2017 erstmals die Erprobung von MaaS-Produkten im Projekt i-Move fördern. Entsprechende Testläufe sind ab 2018 in Berlin, Göteborg, Manchester und Turin geplant.

Abb. 2: Screenshot der MaaS-App „Whim“

Die Entwicklung und Erprobung zahlreicher digitaler Mobilitätsplattformen auch in Deutschland muss vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Überlegungen und Entwicklungen gesehen werden: Es soll ein zum privaten Autobesitz konkurrenzfähiges multimodales Dienstleistungsprodukt entstehen, das breiten Bevölkerungsschichten eine Alternative zum privaten Pkw präsentieren kann. Die Meinungen darüber, wie dies Produkt genau auszusehen hat, sind durchaus unterschiedlich und praktische Erfahrungen mit verschiedenen Ansätzen werden gerade erst gesammelt.

Politik: EU und Bundesregierung verfolgen das Ziel „digitale Vernetzung der Mobilität“

In Ihrer Roadmap „Digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr“ setzt die Bundesregierung unter dem Stichwort „Multimodalität“ die folgenden Ziele:

  • „Verschiedene Mobilitätsplattformen und –Apps mit einheitlicher Datenbasis und einheitlicher Abrechnung im Hintergrund sind verfügbar.“
  • „Integration neuer Mobilitätsformen in den ÖPNV und Einbindung in einen gesamtheitlichen Mobilitätsansatz.“[5]

Damit setzt die Bundesregierung einen Weg fort, der bereits im „Gesetz über intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern (IVSG)“ eingeschlagen worden war (das Gesetz ist seinerseits die Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie von 2010).

Die Europäische Union bereitet ihrerseits zurzeit eine Richtlinie für die Datenintegration im Verkehr vor und hat parallel dazu in ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt bereits festgestellt, dass „Online-Plattformen die digitale Wertschöpfung und damit das Wirtschaftswachstum im digitalen Binnenmarkt fördern. Sie sind inzwischen so wichtig, dass Europa wirtschaftlich und strategisch dazu gezwungen ist, die Entstehung neuer wettbewerbsfähiger Plattformen in der EU zu erleichtern und zu unterstützen“.[6] Das in Deutschland für die nationale Umsetzung dieser Strategie zuständige BMWi hat in Reaktion darauf auch bereits Förderprogramme ins Leben gerufen und bereitet eine Anpassung der entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen derzeit vor.[7]

Deutschland: Es gibt bereits zahlreiche Mobilitätsplattformen, die CarSharing integrieren

Der Bundesverband CarSharing hat Mitte 2017 eine Markterhebung durchgeführt, um festzustellen, in welche digitalen Mobilitätsplattformen bereits CarSharing integriert wird. Angesichts der hohen Marktdynamik ist es wahrscheinlich, dass die Ergebnisse dieses Marktüberblicks schnell ergänzungsbedürftig sein werden. Viele betrachtete Plattformen befanden sich zum Zeitpunkt der Erhebung in einer Übergangsphase, wurden überarbeitet oder gingen in anderen Lösungen auf. Das Ziel der Erhebung war nicht in erster Linie Vollständigkeit, sondern vor allem ein Überblick über die Akteure, ihre Ansätze und eine Systematik der Produkte und Integrationsformen.

Vier Dimensionen zur Unterscheidung verschiedener Ansätze haben sich als hilfreich erwiesen:

  1. Nationale vs. regionale Ausrichtung,
  2. öffentliche vs. privatwirtschaftliche Plattform-Besitzer,
  3. Tiefe vs. oberflächliche technische Integration der Dienste sowie
  4. Vertrieb der Dienste im Rahmen einer Informations-Lösung, einer Shop-Lösung oder als integriertes Produkt mit einzelnen Mobilitäts-Optionen.

Abbildung 3 gibt die Dimensionen 1. und 2. sowie die zugeordneten Mobilitätsplattformen als Schaubild wieder. Es wird dabei deutlich, dass Firmen der Privatwirtschaft ihre Plattformen vor allem national ausrichten, während im Bereich öffentlicher Trägerschaft Initiativen des regionalen ÖPNV dominieren.

Abb. 3: Regionale und nationale Mobilitätsplattformen, die bereist CarSharing integrieren

Die technische Integrationstiefe variiert stark

Unter technischer Integration wird hier nicht nur die digitale Abbildung der CarSharing-Angebote im Rahmen der Plattform verstanden, sondern auch die daran hängende Integration von Back-Office Prozessen. Wie sich zeigt, variiert die Integration des CarSharing stark. Abbildung 4 zeigt den Grad der technischen Integration verschiedener Produkte.

Abb. 4: Tiefe der technischen Integration des CarSharing

1. Multimodale Information

Die Plattform bietet Around-me Kartendarstellungen und/oder Routing-Informationen für verschiedene Verkehrsträger inklusive CarSharing. Dies ist die Grundfunktion, die alle Plattformen leisten. Gelegentlich sind auch Preis-Informationen bereits integriert. Interessant ist hier, dass einige regionale Plattformen das multimodale Routing nach einiger Zeit wieder abgeschafft haben, da es von den ÖPNV-Kunden als verwirrend und zu komplex kritisiert wurde.

2. Multimodale Buchung

Die Plattform integriert die Buchung der CarSharing-Fahrzeuge einiger oder aller angezeigten Produkte als in-App Funktion. Diese Integration erreichen nur einige Plattformen. In Expertengesprächen zeigte sich, dass die Integration häufig an technischen Hürden scheitert bzw. einige Partner nicht bereit waren, in die nötigen Schnittstellen zur Plattform zu investieren.

3. Fahrzeug-Zugang als in-App Anwendung und/oder mittels Karte

Den Zugang zu CarSharing-Fahrzeugen mittels in-App Lösung bieten nur zwei Plattformen an. Häufiger ist die Öffnung vermittels einer Karte, die Zugang zu allen Mobilitätsträgern auf der Plattform ermöglicht.

Die Expertengespräche zeigten, dass vor allem technische Hürden dieser Integration entgegenstehen. CarSharing-Anbieter wiesen zudem darauf hin, dass an dieser Stelle häufig Probleme auftraten, weil der Plattform-Betreiber nötige Daten, um den öffnenden Kunden zweifelsfrei zu identifizieren, nicht an den CarSharing-Anbieter weitergeben wollte. Dadurch ergaben sich offene Fragen in Bezug auf die Halterhaftung und das Vorgehen im Fall eines Schadens.

4. 1st-Level-Support gegenüber dem Kunden

Alle Plattformen, die dem Kunden eine über die reine multimodale Information hinausgehende Integration zur Verfügung stellen, haben auch einen eigenen 1st-Level-Support etabliert. Wie weit dieser Support in Bezug auf die CarSharing-Nutzung geht, variiert. Einige Plattformen geben den Support bereits mit der Buchung an den CarSharing-Anbieter ab. Andere Plattformen bestehen darauf, dass der 1st-Level-Support bei Ihnen auch Zugang zu den Informationen aus dem CarSharing-System hat. Die Expertengespräche zeigten, dass an dieser Stelle häufig auf allen Seiten noch Unklarheit über die richtige Einrichtung der Prozesse besteht. Selbst dort, wo die Plattform den 1st-Level-Support vollständig leistet, waren Detailfragen der Zusammenarbeit oft noch ungeklärt. Auf Seiten der CarSharing-Betreiber wird allgemein die Befürchtung geäußert, dass die Service-Qualität stark abnimmt, wenn Personal der Plattform Kundenanfragen zur Buchung, zum Fahrzeugstatus oder zur laufenden CarSharing-Nutzung beantworten möchte. Oft sei bei den Service-Mitarbeitern der Plattform die Qualifikation zu gering, um Kunden während der CarSharing-Nutzung angemessen zu unterstützen.

5. Integrierte Abrechnung (Sammelrechnung) gegenüber dem Kunden

Vier Plattformen des regionalen ÖPBV rechnen mit dem Kunden alle in Anspruch genommenen Mobilitätsdienstleistungen ab und CarSharing ist in diese Rechnung integriert. Bei moovel ist ebenfalls zum Teil eine Bezahlung direkt in der App möglich.

6. Single Sign-in

Der Kunde meldet sich nur einmal an, schließt einen Vertrag und ist dann zur Nutzung aller Dienstleistungen berechtigt. Auch die Führerscheinprüfung für die CarSharing-Nutzung wird nur noch einmal zentral für alle der Plattform angeschlossenen CarSharing-Dienste durchgeführt. Zwei Plattformen bieten diese Integration. Drei weitere Plattformen gehen einen Zwischenweg: Zwar meldet sich der Kunde zentral an und auch die Führerscheinprüfung erfolgt zentral. Im Zuge des Anmeldeprozesses schließt der Kunde aber Einzelverträge mit allen Anbietern, deren Dienste er nutzen möchte.

Die Plattform gegenüber dem Kunden: Informations-Portal, Shop oder Mobilitätsprodukt?

Unabhängig von der technischen Integration gehen die einzelnen Mobilitätsplattformen vollkommen unterschiedliche Wege bei der Frage, wie das Angebot an den Kunden vermarktet wird. Zu unterscheiden sind drei Ansätze:

1. Informations-Portal

Hier begnügen sich die Plattformen mit einer Darstellung der Mobilitätsangebote, die es gibt. Oft findet dies in Form einer Around-me Kartendarstellung statt, manchmal auch im Rahmen von Routing-Anfragen des Kunden. Dies ist die am einfachsten zu bewerkstelligende Form der Integration. Sie ist daher auch am häufigsten anzutreffen.

2. Mobilitäts-Shop

Hier werden die einzelnen Mobilitätsanbieter als Einzelprodukte dargestellt, für deren Nutzung sich der Kunde jeweils gesondert entscheiden kann. Wie im Einzelhandel stehen die Mobilitätsprodukte im „virtuellen Regal“ nebeneinander. Die Kommunikation bezüglich des Kundennutzens der im Shop angebotenen Produkte ist dabei unterschiedlich. Der Mobilitätsshop in Hannover etwa stellt CarSharing und ÖPNV als zwei komplementäre Produkte dar, die der Kunde einzeln oder im Paket buchen kann. Der Shop von switchh in Hamburg hingegen präsentiert CarSharing und Bikesharing als Zusatzleistung zur ÖPNV-Nutzung.

3. Mobilitätsprodukt

Bei dieser Lösung werden die Anbieter einzelner Dienstleistungen nicht mehr präsentiert, sondern es treten die Mobilitätsoptionen für den Kunden in den Vordergrund. Der Kunde entscheidet sich also nicht mehr, beispielsweise „teilAuto“ zu nutzen, sondern er bucht über die Plattform lediglich „CarSharing“. Oft geht diese Variante damit einher, dass die Plattform eigene Tarife für die einzelnen Mobilitätsprodukte einführt. Auch ein Produkt-Bundeling, bei dem verschiedene Dienstleistungen gegenüber dem Kunden in einem Gesamtangebot kalkuliert und vermarktet werden, kommt vor. Vorbild ist hier eher das Produkt-Bundeling in der Telekommunikationsbranche oder bei Charter-Reisen.

Abbildung 5 gibt einen Überblick über die Varianten der vertrieblichen Integration und die Zuordnung der Mobilitätsplattformen.

 Abb. 5: Vertriebsmodelle digitaler Mobilitätsplattformen

Auffallend ist bei dieser Übersicht, dass die vertriebliche und technische Integration nicht zusammenfallen. Es ist also nicht etwa so, dass eine weitgehende technische Integration einen bestimmten Vertriebstyp zwangsläufig erfordert. Das zeigt sich gut am Unterschied der Plattformen GHV einerseits und Leipzig mobil andererseits: Beide Plattformen sind technisch hoch integriert. Aber während GHV dem Kunden eine Shop-Lösung präsentiert, setzt Leipzig mobil auf eine Produkt-Lösung.

Die beobachteten Vertriebsvarianten repräsentieren vor allem verschiedene strategische Ansichten darüber, welche Art von Produkt den Kunden überzeugen kann. Angesichts weitgehender Unklarheit darüber, wie ein digitales Mobilitäts-Produkt wirklich Kunden überzeugen kann, sind diese Experimente durchaus begrüßenswert.

Bei den Mobilitätsprodukten ist jedoch zu beobachten, dass beim Entwurf des Gesamtprodukts teilweise das Know-how der involvierten CarSharing-Anbieter übergangen wurde. Das führt zu einigen kontraintuitiven Lösungen bei der Darstellung des Produkts „CarSharing“ und bei der Tarifgestaltung. Vieles spricht dafür, dass für ein state-of-the-art Mobilitätsprodukt eine enge Zusammenarbeit von CarSharing und ÖPNV auf Augenhöhe nötig ist. Das bestätigen auch die für die MaaS-Produkte zuständigen Experten von UbiGo und Whim.

Neue strategische Herausforderungen für CarSharing-Anbieter

Grundsätzlich geht mit der Integration verschiedener Mobilitätsdienstleistungen in einer App eine Neuformierung der Kundenbeziehung einher. Nicht mehr jeder Anbieter hat seine App und damit seinen eigenen Kundenkontakt. Der Kundenkontaktpunkt verlagert sich vielmehr auf einen Dritten - den oder die Betreiber der Plattform. Leistungserstellung und Kundenkontakt werden so getrennt. Mobilitätsdienstleister werden zu Lieferanten, deren Produkt die Plattform vermarktet. Das ruft ein für die Mobilitätsbranche neues Einkäufer/Produzent-Verhältnis hervor, das langfristig die Geschäftsmodelle der Anbieter verändern könnte: Es könnten White-Label Dienstleister entstehen, es etablieren sich aber vielleicht auch neue, starke CarSharing-Marken, die in Mobilitäts-Shops für besondere Kundenbindung sorgen.

Neue Vertriebsmodelle ziehen auch neue Modelle des Partnering nach sich, um Strategien abstimmen und einzelne Leistungen kundenorientiert anbieten zu können. Gegenwärtig sind hierarchische und kooperative Ansätze der Zusammenarbeit zwischen Plattform-Betreibern und CarSharing-Anbietern erkennbar. Die meisten erfahrenen Praktiker sagen: Ohne Kooperation geht es nicht.

Abb. 6: Unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen Plattform und Mobilitätsanbietern

Die existierenden Plattformen verbessern die Neukundengewinnung für das CarSharing bisher eher nicht

Eine stichprobenartige Erhebung hat gezeigt, dass sich die bisher existierenden digitalen Mobilitätsplattformen nicht nennenswert auf den Absatz des Produkts „CarSharing“ auswirken. Zwei Beispiele:

Abb. 7: Nutzerzahlen von digitalen Mobilitätsplattformen und akquirierte CarSharing-Kunden

Diese Zahlen sind nur Beispiel. Sie finden sich in ähnlicher Struktur aber auch bei anderen Plattformen. Dies lässt vermuten, dass die heute existierenden Plattformen vor allem eine digitale Integration des ÖPNV darstellen. Von den Kunden des ÖPNV werden sie daher durchaus stark genutzt. Neue Zielgruppen für das CarSharing werden hingegen offensichtlich bisher kaum erreicht.

Schlussfolgerungen für CarSharing-Anbieter

Für CarSharing-Anbieter stellen digitale Mobilitätsplattformen interessante neue Vermarktungsmöglichkeiten da. Es ergeben sich jedoch auch neue strategische Herausforderungen, die vor allem bei der Expansionsstrategie und beim Marketing neue Herangehensweisen nötig machen könnten:

  • Eine breite Netzabdeckung vor Ort wird für CarSharing-Anbieter wichtiger, da sie zugleich Verhandlungsmacht gegenüber den Betreibern digitaler Mobilitätsplattformen bedeutet. Damit geht die Frage einher, wie schnell die CarSharing-Expansion erfolgen kann und woher die nötigen Investitionsmittel dafür kommen würden.
  • Für CarSharing-Anbieter wird die Frage wichtiger, was der spezielle, klar umrissene Kundennutzen ihres Produkts ist. Das gilt besonders für Anbieter, die sich in Konkurrenzsituationen befinden. Marketing-Kommunikation und die Darstellung des USPs gewinnen für den CarSharing-Anbieter an Bedeutung, da die digitalen Plattformen den Produktvergleich für den Kunden einfacher machen.
  • Durch den nur noch indirekten Zugang zu einigen Kunden wird die In-Car Kommunikation für den CarSharing-Anbieter wichtiger. Sie wird in Zukunft verstärkt dem Ziel dienen, exklusive Kundenbeziehungen aufzubauen.
  • Die Bedeutung von Maßnahmen zur Gewinnung von Exklusivkunden durch besondere Preismodelle, Rabatte und Zusatzleistungen wird zunehmen. Grundsätzlich bieten digitale Plattformen auch die Chance, dort die Preise zu erhöhen, und eigene, niedrigere Preise exklusiv zu vermarkten.
  • Die Kunden digitaler Mobilitätsplattformen werden öfter Querschnitts-Kunden sein, die kein besonderes Interesse am CarSharing mitbringen. Plattform-Betreiber werden diesen Kunden möglichst einfache Preismodelle anbieten müssen. Daher gewinnen Querschnittstarife mit geringem Eintrittsrisiko hier an Bedeutung.
  • Die Frage der Datenhoheit wird ein andauerndes Diskussionsthema sein. CarSharing-Anbieter brauchen nicht unbedingt volle Datenhoheit, denn diese ist strategisch nicht entscheidend. Entscheidender ist, dass der Anbieter die bei ihm jeweils buchenden Kunden identifizieren und – idealerweise – auch eigenständig kontaktieren kann.
  • Die Etablierung einer standardisierten Schnittstelle aller CarSharing-Anbieter hin zu den neuen digitalen Plattformen dürfte sinnvoll sein, weil sie die „Anschlusskosten“ für jeden einzelnen Anbieter auf ein Minimum begrenzt.

Schlussfolgerungen des Bundesverband CarSharing e.V.

Heute sind die meisten digitalen Mobilitätsplattformen erst im Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Die Erfolge – gerade auch für das CarSharing – sind eher bescheiden. Trotzdem könnten digitale Mobilitätsplattformen die Strukturen des Mobilitätsmarktes bald verändern. Sie könnten in Zukunft neue Zielgruppen für multimodale Mobilität erschließen und die Chancen für den Marktzugang einzelner Mobilitätsdienstleistungen stark beeinflussen.

Die Betreiber vieler Mobilitätsplattformen sind Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. Es ist erklärte Strategie des VDV, den ÖPNV zum entscheidenden Player auf dem Feld digitaler Mobilitätsplattformen zu machen. Zugleich fordert die „Roadmap für digitale Vernetzung im öffentlichen Nahverkehr“ der Bundesregierung eine digitale Integration des ÖPNV und weiterer Mobilitätsdienstleistungen. Vor diesem Hintergrund scheint es geboten, grundlegende Forderungen aufzustellen, die den Zugang von CarSharing-Dienstleistungen zum Marktsegment „Digitale Mobilitätsplattformen“ absichern:

  • Betreiber digitaler Mobilitätsplattformen, sofern sie Kommunen, kommunale Betriebe oder PPPs sind, müssen den übrigen Mobilitätsanbietern einen diskriminierungsfreien Zugang zur Plattform und zum Kunden ermöglichen. Voraussetzung für den Zugang des einzelnen Mobilitätsanbieters sollte sein, dass sein Produkt die Nutzung des Umweltverbunds nachweislich fördert.
  • Betreiber von digitalen Mobilitätsplattformen, sofern sie Kommunen, kommunale Betriebe oder PPPs sind, sollten den übrigen Mobilitätsanbietern zusichern, nicht in direkten Wettbewerb mit ihnen zu treten. Nur dann ist gewährleistet, dass sich die Mobilitätsanbieter zu einem umfassenden Austausch von Daten und Know-how mit der Plattform bereitfinden.
  • Privatwirtschaftlich betriebene digitale Mobilitätsplattformen müssen als Dienstleistungen betrachtet werden, die in Konkurrenz mit allen anderen Mobilitätsanbietern stehen. Städte und Kommunen müssen den Markt so regulieren, dass kein Monopol für den Kundenzugang entsteht.
  • Der Datenaustausch zwischen digitaler Plattform und Mobilitätsanbietern muss so gestaltet werden, dass beide Seiten ihre Prozesse wie gewünscht durchführen und aus den Daten Erkenntnisse für die Optimierung ihrer Produkte ableiten können. Eine entsprechende Open-Data-Politik sollte für alle öffentlich (mit-)finanzierten Mobilitätsplattformen Pflicht sein. Es wäre im Interesse der Städte und Kommunen, auch den privatwirtschaftlichen Markt entsprechend zu regulieren.
  • Betreiber digitale Mobilitätsplattformen sollten einen Prozess entwickeln, in dem Vertriebsziele mit allen Partnern einvernehmlich bestimmt, Produkteigenschaften festgelegt und der Datenaustausch in beide Richtungen organisiert wird. Vorbild hierzu könnte etwa das Konzept des Category Management sein.


[1] In neuerer Zeit etwa: Die durch das Bundesumweltministerium geförderte Studie WiMobil, die im Auftrag der Landeshauptstadt München durchgeführte Studie EVA-CS und die bcs-Studie „CarSharing im innerstädtischen Raum- eine Wirkungsanalyse“.

[2] Der Bundesverband CarSharing empfiehlt als relevanten Gesamtmarkt die Zahl der zur Führung eines Pkw berechtigten Personen in Deutschland anzusehen.

[3] infas, DLR: Mobilität in Deutschland 2008

[4] Shaheen, Cohen, Zohdy, Kock 2016: Smartphone Applications to Influence Travel Choices: Practices and Policies

[5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2016: „Digitale Vernetzung im öffentlichen Personenverkehr, Roadmap, Kurzfassung“, S. 11

[6]Europäische Kommission 2016: Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt, Chancen und Herausforderungen für Europa

[7] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2017: Weißbuch Digitale Plattformen