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16. August 2017

Die Nähe der Autoindustrie zur deutschen Politik

Seit zwei Jahren ist die Diskussion um überhöhte Emissionswerte von zugelassenen Diesel-Pkw in vollem Gange. Aus dem ursprünglichen VW-Abgasskandal ist längst „Dieselgate“ und ein massives Problem der gesamten Autoindustrie geworden. Doch wie konnte es sein, dass die Autohersteller trotz längst bekannter einzelner Informationen über überhöhte Abgaswerte so lange unbehelligt blieben und Millionen neuer Fahrzeug in Verkehr bringen konnten, die eigentlich von ihren Voraussetzungen her keine Typzulassung beanspruchen können? Aufgrund dieser Informationen hätten die zuständigen Behörden und Ministerien seit Jahren gewarnt sein müssen und hätten pflichtgemäß einschreiten müssen, um Gesundheitsschäden von der Bevölkerung abzuwenden.

Hiervon ist auch die CarSharing-Branche betroffen, die bemüht ist, ihre umweltentlastende Dienstleistung mit möglichst umweltfreundlichen Fahrzeugen anzubieten.

Einen aufschlussreichen Einblick bietet ein eigenes Kapitel im Lobbyreport 2017 der gemeinnützigen NGO LobbyControl, die über Machtstrukturen und Einflussstrategien der Industrie gegenüber der deutschen und EU-Politik informiert (siehe https://www.lobbycontrol.de/hintergrundpapiere/). In diesem Report wird in einem eigenen Kapitel über die engen personellen Verflechtungen der Autoindustrie und der Bundesregierung informiert. Damit werden die zögerlichen Reaktionen des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) und seiner untergeordneten Behörden (z. B. KBA) und das Schweigen der Bundeskanzlerin nachvollziehbar.

An vorderster Stelle verdeutlicht diese enge Verflechtung die Person des Präsidenten des Verbandes der Autoindustrie (VDA), Matthias Wissmann. Er war 1993 zunächst Forschungsminister und von Mai 1993 bis Oktober 1998 Bundesverkehrsminister. Angela Merkel war als Umweltministerin damals seine Kabinettskollegin. Zu Zeiten der rot-grünen Koalition waren beide Fraktionskollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit 2007 ist Matthias Wissmann Präsident des VDA und nutzt hierfür seine hervorragenden Kontakte in die CDU/CSU. LobbyControl beschreibt, dass sich Wissmann in der Zeit zwischen März 2014 und September 2015, also unmittelbar vor dem Bekanntwerden des Diesel-Abgasskandals, neun Mal persönlich mit SpitzenvertreterInnen der Bundesregierung persönlich traf (S. 42). Sechs Mal fanden Treffen zwischen Regierungsspitzen und dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn statt. In einer Antwort an die Linken-Fraktion berichtet die Bundesregierung, dass es zwischen Oktober 2013 und Juni 2015 weit mehr als 100 Treffen zwischen hohen Regierungsvertretern und der Auto-Lobby gab (S. 43).

Der jetzige Wahlkampfmanager der CDU, Joachim Koschnicke, war unmittelbar vor dieser Funktion Chef-Lobbyist (Vice President Public Policy) bei Opel (Spiegel online vom 20.03.2017). In dieser Funktion machte er Druck auf das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), als dieses ein neues Fahrzeugmodell von Opel wegen einer umstrittenen Abschalteinrichtung in der Motorsoftware nicht typzulassen wollte. LobbyControl dazu: „Das KBA genehmigte schließlich das Modell – eine Umrüstung der Fahrzeuge hat entgegen der Forderungen des KBA noch nicht stattgefunden.“ (S. 43)

Damit ist die aktuelle Reihe der persönlichen Verflechtungen von einstigen Merkel-Mitarbeitern noch nicht zu Ende: Der ehemalige Büroleiter von Angela Merkel, Michael Jansen, ist heute Hauptstadtrepräsentant von VW, der frühere stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg ist heute Chef-Lobbyist (Generalbevollmächtigter für Außen- und Regierungsbeziehungen) von Volkswagen. Eckart von Klaeden, von Oktober 2009 bis September 2013 Staatsminister im Bundeskanzleramt von Angela Merkel ist seit November 2013 Chef-Lobbyist (Leiter Politik und Außenbeziehungen) bei Daimler.

Auch auf EU-Ebene funktioniert die Einflussnahme der Autohersteller hervorragend, entweder durch eigenes Lobby-Personal in Brüssel (mehr als 40 Vollzeit-Stellen) oder durch die tatkräftige Mithilfe von Vertretern der Bundesregierung. Die Volkswagen AG hatte zwischen 2014 und Mitte 2017 47 persönliche Treffen mit der EU-Kommission. BMW, Daimler und der VDA kamen in diesem Zeitraum hingegen „nur“ auf 28 bzw. 29 Treffen. (S. 46)

Wenn es trotzdem eng wird, hilft die persönliche Einflussnahme der deutschen Politik bei Vorhaben der EU. Verkehrsminister Dobrindt setzte sich im Frühjahr 2017 persönlich dafür ein, dass die EU die Zulassungsprozesse der nationalen Prüfstellen für neue Fahrzeugmodelle nicht durch eigene unabhängige Stichprobenuntersuchungen überprüfen darf. Auch will er verhindern, dass die Prüfungseinrichtungen in Deutschland nicht direkt von der Autoindustrie bezahlt werden.

Im Übergang der alten Typzulassungsprüfung zur neuen hat die Bundesregierung kräftig im Sinne der deutschen Autohersteller Einfluss genommen. Die bisherige Typzulassung wurde auf Rollenprüfständen unter Laborbedingungen vorgenommen, die bekanntermaßen mit der Realität im Straßenalltag nichts zu tun haben (im NEFZ-Zyklus). Als die EU nun das neue Zulassungsverfahren mit einem neuen Messprogramm (im WLTP-Zyklus) auf dem Rollenprüfstand zur Feststellung des Kraftstoffverbrauch und damit der CO2-Emissionen beschloss und zusätzlich Abgastests auf der Straße im RDE-Verfahren (Real Driving Emissions) vorgeschrieben wurden, setzte sich die Bundesregierung vehement dafür ein, dass beim RDE-Verfahren ein sogenannter Konformitätsfaktor eingeführt wurde. Damit sollte für eine Übergangszeit die Überschreitung der bisherigen Grenzwerte durch die neuen, strengeren bzw. realistischeren Typzulassungsverfahren abgefedert werden. LobbyControl schreibt dazu: „Am Vortrag der Abstimmung hatte das Bundeskanzleramt eine E-Mail aus der Bayerischen Staatskanzlei erhalten – mit genauen Forderungen zum Konformitätsfaktor, die wiederum bis ins Detail mit Forderungen von BMW übereinstimmten. Auch VDA-Präsident Matthias Wissmann hatte laut „Spiegel“ kurz vor der Abstimmung mit der Bundeskanzlerin Kontakt aufgenommen. Ein Anruf der Kanzlerin bei EU-Kommissionspräsident Juncker führte schließlich zu der Erhöhung des Konformitätsfaktors, und zwar ganz im Sinne der deutschen Autolobby.“ (S. 45) Der nun beschlossene Konformitätsfaktor erlaubt eine Überschreitung der neu am Auspuff gemessenen gesundheitsschädlichen Schadstoffkonzentrationen um 110 Prozent bis 2021 gegenüber den alten unrealistischen Messverfahren, der EU-Vorschlag hatte den Konformitätsfaktor bei 60 Prozent vorgesehen.

Angesichts dieser Verquickung der Interessen der Autohersteller und der deutschen Politik verwundert es nicht, dass

  • die Interessen der Autohersteller seit jeher fast eins zu eins in die nationale Politik eingeflossen sind.
  • es so lange gedauert hat, bis die politische Forderung einer Verkehrs- oder Mobilitätswende zaghaft und noch nicht umfassend bei allen Parteien in den Sprachschatz der Politik Eingang gefunden hat.
  • Verkehrsminister Dobrindt eine eigene Untersuchungskommission zur Diesel-Affäre beschäftigt, die gegenüber gesellschaftlichen Gruppen völlig abgeschottet arbeitet und deren Ergebnisse auch nur in weichgespülter Fassung veröffentlicht werden.
  • sich Verkehrsminister Dobrindt vehement gegen die Forderung der Verbraucherverbände wendet, dass die hintergangenen Autokäufer von manipulierten Diesel-Fahrzeugen Entschädigungen von den Autoherstellern bekommen. Auch wird von ihm die Einführung von Musterfeststellungsklagen und die Anwendbarkeit auf den Diesel-Skandal abgelehnt. Damit müsste nicht jeder Autobesitzer seine Ansprüche einzeln durchsetzen, sondern könnte sie im Wege von Sammelklagen einbringen.
  • vom Diesel-Gipfel am 02.08.2017 nicht allzu viel zu erwarten war.
  • last but not least ein Carsharinggesetz erst dann (aber immerhin jetzt) in die Tat umgesetzt wurde, als die beiden stationsunabhängigen CarSharing-Anbieter car2go (Daimler) und DriveNow (BMW) dies als sinnvolle Maßnahme gefordert hatten. Vorher hatten die stationsbasierten CarSharing-Anbieter dies seit mehr als 13 Jahren gefordert.

Eine erwähnenswerte Ausnahme der geschilderten Umstände ist das Verhalten des derzeitigen Bundesumweltministeriums (BMUB) unter der Führung von Ministerin Barbara Hendricks und des Staatssekretärs Jochen Flasbarth. Das BMUB hat jetzt im Nachgang zum Nationalen Forum Diesel ein Expertengremium einberufen, dem auch gesellschaftliche Gruppen wie Verbraucherverbände, Kommunale Spitzenverbände u. a. angehören sollen und das die Beschaffung umweltfreundlicher (nicht durch Tricks schön gerechneter) Fahrzeuge voranbringen soll. Auch der Bundesverband CarSharing wurde in dieses Gremium eingeladen.

Willi Loose, 16.08.2017